Bei einem Besuch im Computerspielemuseum Berlin konnten wir uns die Virtuality SU2000 genauer anschauen – Retro-VR mit 486er-Power und Waffencontroller.
Schon in den 1990ern gab es einen kleinen VR-Hype, nicht zuletzt durch Filme wie den „Rasenmähermann“ befeuert. Die damals noch oft anzutreffenden Arcade-Hallen waren auf der Suche nach neuen Spielen, nachdem klassische Automaten durch Heimkonsolen und Spiele-PCs mehr und mehr an Bedeutung verloren.
Eines der Unternehmen war Virtuality, die bereits 1991 die 1000er-Serie ihrer VR-Systeme auf den Markt brachten. Das flottere Nachfolgemodell SU2000 konnten wir im Computerspielemuseum Berlin ausprobieren. Vielen Dank dafür an den Kurator des Museums, Andreas Lange, der uns nicht nur das Anspielen ermöglicht hat sondern auch für ein Gespräch über Virtual Reality und Retrogaming zur Verfügung stand.
Der Himmel auf Erden für Retrofans: Das Computerspielemuseum
In der Karl-Marx-Allee 93a inmitten Berlins residiert das Museum für Computerspiele. Gamingbegeisterte Berlin-Besucher sollten sich auf jeden Fall ein wenig Zeit für einen Besuch dort reservieren, immerhin finden sich im Museum viele Meilensteine der Computerspielegeschichte. Wir haben bei unserem aktuellen Besuch die zahlreichen spielbaren klassischen Computer und Arcade-Automaten erst einmal ignoriert, schließlich hat die virtuelle Realität nach uns gerufen.
Eines der üblicherweise nicht frei nutzbaren Exponate des Museums ist eine SU2000 VR-Arcademaschine von Virtuality. Freundlicherweise wurde das bereits etwas ramponierte Gerät extra für unseren Besuch hochgefahren.
Ihr wollt selbst sehen, wie es im Computerspielemuseum aussieht und wie sich die Retro-VR spielt? Dann schaut unser Video dazu an:
Virtuality SU2000 – 486er-Power und getrackte Controller
Als VR in den 1990ern einen ersten Hype erlebte, stieg Virtuality mit Arcade-Eigenentwicklungen in den Markt für VR-Spielemaschinen ein. Das 1991 vorgestellte 1000er-System setzte auf einen Amiga 3000 und bot selbst für die damalige Zeit eine eher krümelige Grafik. Wir durfen das 1994 vorgestellte Nachfolgemodell aus der 2000er-Serie anschauen.
Die im Computerspielemuseum ausgestellte SU2000 ist die „Stands up“-Variante, ein VR-System zum Stehen aber ohne Roomscale-Tracking. Die SD-Variante steht für „sit down“, sie bietet also eine sitzende VR-Erfahrung.
Im Inneren des auffälligen „Käfigs“ in dem der Spieler steht ist zwar nur wenig Platz, ohne Körpertracking dient die gepolsterte Abgrenzung aber wohl eher zum Schutz vor zurückschreckenden Spielern. Immerhin versprach Virtuality atemberaubende VR-Erlebnisse mit realitätsnah getracktem Waffencontroller.
Wir müssen bedenken: 1994 war noch nicht einmal die 3dfx Voodoo 3D erschienen, 3D-Grafik war ungefiltert und eher grobschlächtig. Spezielle Prozessoren für die 3D-Berechnung zu verwenden war zumindest bei Heimanwendern seinerzeit noch nicht üblich. Und auch wenn Arcade-Automaten den Wohnzimmerkonsolen und -PCs damals technisch voraus waren, hochauflösende und texturierte 3D-Grafik war bestenfalls Wunschdenken.
Virtuality setzte bei der SU2000 auf einen seinerzeit weit verbreiteten 486er-Prozessor, der den Motorola 68030 aus der 1000er-Reihe ablöste. Für das Grafikrendering kam dennoch Technik von Motorola zum Einsatz: der RISC-Prozessor MX88110, zuständig für die Grafikberechnungen.
Gleich zwei Grafikkarten mit jeweils zwei aktiv gekühlten Prozessoren stecken in der Mini-PC-Box der SU2000, was dem Rechner zu einer seinerzeit beeindruckenden 3D-Leistung verholfen hat. Angesichts von gut 100.000 US-Dollar, die eine solche Maschine damals gekostet hat aber auch sinnvoll.
Ein wenig wie Oculus Go ’94
Für die Grafikausgabe ist die sogenannte „Visette“ verantwortlich, die eigentliche VR-Brille. Sie enthält zwei LCDs mit jeweils 276×372 Pixeln Auflösung. Davor befinden sich zwei aus heutiger Sicht winzige Linsen. Beim Aufsetzen der Visette die erste Überraschung: Der Kopfgurt erinnert ein wenig an moderne VR-Lösungen wie die Oculus Rift, mit einem Stellrad lässt sich die Brille an die eigene Kopfgröße anpassen. Vorne in der VR-Brille befinden sich dann noch Stellräder um die IPD anzupassen – löblich!
Ebenfalls erstaunlich: Es gibt kaum einen Fliegengittereffekt beim Spielen. Im Gegenzug ist die Grafik allerdings auch ruckelig und sehr sparsam mit Details. Die Latenz soll laut Hersteller bei 50ms liegen – weit über dem, was wir heute als akzeptabel bezeichnen würden. Wir konnten den 3D-Railshooter „Zone Hunter“ ausprobieren, der mit dem beiliegenden Waffencontroller gespielt wird.
Der Controller ist per Kabel verbunden, bietet also nicht den Wireless-Luxus heutiger Eingabegeräte. Dafür bietet die „Waffe“ immerhin 3DOF-Tracking und verstärkt das Immersionsgefühl. Auch wenn wir nur zwei Buttons zur Verfügung haben: Mit einem laufen wir nach vorne, der andere ist der Trigger um zu feuern. Und nein, nach hinten laufen ist nicht vorgesehen, die Spielfigur rennt stur geradeaus, auch wenn man nach hinten schaut.
Wie in Arcades üblich versuchen die Entwickler der Spiele möglichst viel Geld aus den Nutzern zu kitzen – vor allem bei so teuren Anschaffungen wie einer VR-Station. Eine Spielrunde hat dann damals auch satte 5 DM gekostet, wer mit einem Kumpel loslegen wollte – die Geräte sind Multiplayertauglich für zwei Spieler – musste natürlich pro Person bezahlen. Die Spielrunden haben ein Zeitlimit, das durch den Abschuss von Extras immerhin etwas erhöht werden kann. Ein wirklich günstiger Spaß war die SU2000 aber weder für den Betreiber noch für die Besucher damaliger Spielhallen.
1994er-VR selbst ausprobiert
Das Aufsetzen der VR-Brille „Visette“ erinnert tatsächlich stark an moderne Headsets wie die Oculus Rift und die integrierten Kopfhörer sind trotz ihres Alters gar nicht so übel. Allerdings fällt das Field of View sowohl horizontal als auch vertikal recht klein aus. Im Prinzip fühlt es sich an, als würde man aus direkter Nähe auf einen Monitor schauen, allerdings mit Headtracking. Die SU2000 bietet damit das, was offenbar viele Flatgamer bei heutigen VR-Systemen befürchten oder erwarten: Ein eher eingeschränktes Sichtfeld mit recht grober Grafik. An flüssige 90 FPS ist angesichts der genutzten Hardware natürlich nicht zu denken, die Grafik ruckt ein wenig und ist natürlich nur wenig detailreich.
Im Spiel bewegen wir uns wie auf Schienen vorwärts, allerdings nur wenn der obere Button des Joysticks gedrückt wird. Der untere Button dient als Trigger, so dass die auftauchenden Gegner abgeschossen werden können. Aufgrund der 3DOF-Eingabe von Headset und Controller erinnert das Spielen mit der SU2000 eher an den Umgang mit einer sehr großen Oculus Rift auf der ein Retro-Spiel läuft.Von 100.000 US-Dollar auf 199 US-Dollar – da soll noch einer „VR ist immer noch zu teuer“ sagen.. Übrigens, die Oculus Go hat nicht nur eine deutlich höhere Auflösung sondern auch extrem viel mehr Rechenleistung, Technik von der die Ingenieure in den 1990ern geträumt haben.
Den Multiplayermodus konnten wir nicht testen, da aktuell nur eine SU2000 im Museum einsatzbereit ist. Als VR-Enthusiast ist es die Erfahrung wert gewesen – man liebt die aktuelle Technik im Anschluss trotz ihrer Mängel dann doch wieder etwas mehr.
Im Gespräch mit Andreas Lange vom Computerspielemuseum
Natürlich haben wir die Chance auch genutzt, ein wenig mit Andreas Lange, dem Kurator des Museums, zu reden. Neben den bereits oben genannten technischen Daten zur VR-Hardware plauderten wir auch über VR im Allgemeinen. Immerhin war im Computerspielemuseum bei meinem letzten Besuch vor zwei Jahren noch eine Oculus Rift für alle Besucher nutzbar aufgebaut die nun mit Abwesenheit glänzte. Tatsächlich wurde die Rift abgebaut, da sich die Technik als zu wenig pflegeleicht herausgestellt hat – regelmäßige Updates, verstellte Tracking-Kameras und sicher auch übereifrige Besucher sorgen für einen zu großen Arbeitsaufwand.
Probleme, die es laut Lange mit der Playstation VR nicht gibt. Allerdings glaubt er nicht an einen großen Erfolg von VR – die noch nicht ausgereifte Technik, unhandliche Brillen und vor allem die Abschottung gegenüber anderen Personen sind seine Argumente, die folgende Diskussion wiederzugeben wäre allerdings überflüssig – Leser dieser Seite dürften die Argumente pro-VR kennen 😉 . Aus der Sicht vieler nicht-VR-Enthusiasten stellt sich die Situation tatsächlich so dar und Punkte wie der fehlende Blick ins Spielzimmer, das für einige Menschen gruselige komplette Abtauchen, sind nicht wegzudiskutieren.
Zu beobachten war aber auch: Sobald die SU2000 lief und dort gespielt wurde, bildete sich eine Traube interessierter Zuschauer. Aufsehen erregt die Technik.
Wer sich für die Geschichte der Videogames interessiert, sollte auf jeden Fall im Computerspielemuseum in Berlin vorbeischauen. Die Sammlung historischer Spielgeräte und auch einiger (halbwegs) aktueller Konsolen und Hardware ist faszinierend und liebevoll präsentiert. Vor allem die nach verschiedenen videospielhistorischen Jahrgängen eingerichteten Jugendzimmer sind ein Highlight abseits der Retro-VR: Jeder, der diese Zeiten als Jugendlicher oder Kind selbst miterlebt hat, dürfte hier früher täglich genutzte und oft liebgewonnene Gegenstände wiederfinden. Oder Spiele spielen, auf dem C64 beispielsweise, dem NES oder einem alten PC mit winzigem Grün-Monitor.
Spätestens seit Stranger Things sind auch Spielhallen und Retro-Videogames wieder hoch im Kurs, im Computerspielemuseum gibt es die echte Hardware nicht nur zu bestaunen, sie kann auch ausprobiert werden. Nur für die Painstation müsst ihr mindestens 18 Jahre alt sein, beim Personal um die Nutzung bitten und ansonsten nicht allzu empfindlich auf Schmerzen reagieren..
Das Computerspielemuseum findet ihr in der Karl-Marx-Allee 93a in 10243 Berlin. Ticketpreise und Öffnungszeiten findet ihr auf der Webseite.
Die SU2000 VR-Station könnt ihr auch selbst ausprobieren, meldet euch einfach Freitags oder Samstags zwischen 16 und 19 Uhr an der Kasse des Museums.
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