Die Ankündigung von Half Life:Alyx als reiner VR-Titel hat eingeschlagen – was das Spiel für das Wachstum von VR bedeuten kann, versuchen wir hier aufzuschlüsseln.
Software verkauft Hardware, das galt schon zur Zeit von 8- und 16-Bit-Computern und es gilt auch heute noch. Selbst die beste Hardware ist bestenfalls ein teurer Türstopper, wenn sich jeder seine Anwendungen dafür mangels Angebot erst selbst schreiben muss. Zugegeben, in den 1980ern hat das auch irgendwie geklappt, aber 2019 sind wir dann doch etwas verwöhnter.
Als Virtual Reality 2016 mit Vive, Rift und PSVR (erneut) startete, fehlte es definitiv an hochwertiger Software. Dass auch die Hardware rein technisch nicht ganz die hohen Erwartungen der gehypten Masse entsprach – zu viel Screendoor, zu hohe Systemanforderungen, Horrorgeschichten von Motion Sickness und Krümelgrafik – war nicht unbedingt hilfreich. Selbst heute sind nur knapp 1% der Steam-User VR-Gamer, die PSVR hat sich mit gut 5 Millionen Exemplaren noch am besten von allen ernstzunehmenden VR-Brillen verkauft, PC-VR rangiert weit darunter und teilt sich zudem auf mehrere Hersteller auf. Microsoft scheint WMR auch nicht weiter zu führen – es sieht auf den ersten Blick nicht rosig aus.
Der VR-Fehlstart
Dass VR 2016 nicht gleich mit hochwertig produzierten AAA-Spielen aufwarten konnte, war sicherlich ein Problem. PSVR hatte Resident Evil 7, das von über 15% der Spieler in VR gezockt wurde und Bethesda preschte bald mit Skyrim VR und Fallout 4 VR, sowie Doom VFR vor. Bis auf Doom handelte es sich aber um eher lieblos in VR umgewandelte Flatspiele – Skyrim bringt halt aufgrund seiner Spielwelt enorm viel Spaß, da vergibt man die eher unhandliche Steuerung. Als VR-Enthusiast jedenfalls, den Mainstream-Gamer konnte das wohl nicht so recht faszinieren.
VR ist einen weiten Weg gegangen seit den 1990ern..
Nun dauert die Entwicklung von hochwertigen Spielen leider eine gewisse Zeit. 2012 kam Palmer Luckeys Kickstarter mit der Oculus Rift DK1 ans Licht der Öffentlichkeit und löste den erneuten VR-Hype überhaupt erst aus. Für ein AAA-Spiel wie Half Life zum Start von Vive oder Rift hätten bereits zu diesem Zeitpunkt Entwickler mit einer gewissen VR-Erfahrung loslegen müssen mit der Programmierung – unrealistisch. So ist es nicht verwunderlich, dass zuerst kleine Indie-Spiele den Markt dominierten.
Sie lassen sich schneller mit einem kleineren Team und ohne gigantisches Budget entwickeln, als hochglanzpolierte Top-Produktionen. Außerdem bestand da noch ein Problem: Kaum jemand hatte wirklich Erfahrung bei der Entwicklung von VR-Games. Freie Fortbewegung, wie sie heute fast jedes VR-Game bietet, auch ohne Motion Sickness auszulösen, galt in der Anfangszeit als No-Go, eben wegen Motion Sickness. Autorennen galten als verträglichste VR-Erfahrung – heute wissen wir, dass Spiele wie Driveclub eher das Gegenteil sein können.
Grundlagenforschung bei VR-Devs
In Sachen Bedienbarkeit, Interface, Steuerungsmethoden und natürlich Grafik hat sich seit 2016 viel getan. Viele der Schritte sind den VR-Enthusiasten vielleicht gar nicht so aufgefallen, da sie nach und nach in den Markt gedrungen sind. Sairento VR hat zwar nur eine eher zweckmäßige Grafik, dafür aber eine hervorragende Teleport-Mechanik mit Zeitlupe. In Death hat gezeigt, wie gut Bogenschießen in VR funktionieren kann. Onward und Pavlov haben klassische PvP-Shooter mit realistischem Waffenhandling etabliert. Nach und nach sammelten die Entwickler Erfahrungen, schauten sich Tricks von anderen Projekten ab und bauten ein Wissen auf, wie sich VR-Games effektiver und für die Spieler angenehmer entwickeln lassen.
Spiele wie Stormland beweisen, dass sich bei VR-Games vieles getan hat in den letzten Jahren
Kleiner Seitenhieb: Bethesda scheint weiterhin in zu starren Projektplänen gefangen zu sein: Zwar gibt es erfreulich viele VR-Umsetzungen aus diesem Hause, sie lassen aber durchgehend inzwischen etablierte Komfortfunktionen, gerade bei der Bedienung, vermissen. Wie es besser geht, beweist Stormland: Die sowohl in Flat (Spider-Man!) als auch in VR (Edge of Nowhere) erfahrenen Entwickler haben mit Stormland die momentane Perfektion in Sachen Bedienbarkeit abgeliefert. Hier gibt es keine unüberschaubare Buttonbelegung, selbst die Map wird über eine Holokarte sinnvoll in die Spielwelt integriert. Klettern, Gleiten, Kämpfen, Erkunden – hier fühlt sich alles natürlich an. Hier muss ich nicht nach einer Woche Spiele-Abstinenz das Tutorial noch einmal spielen, um die Steuerung erneut zu lernen.
All diese Erfahrungen haben die Entwickler in den vergangenen drei Jahren gemacht. Es bleibt anzunehmen, dass auch Valve den Markt beobachtet hat und die Entwickler von Half Life: Alyx ein erstklassig zu bedienendes Spiel auf den Markt bringen. Dass Valve etwas von Einsteigerfreundlichkeit und Bedienbarkeit in VR versteht, wurde bereits mit der Einstiegserfahrung „The Lab“ bewiesen und auch die Techdemos zu den Index Controllern zeigen ihr Verständnis für die Besonderheiten von VR.
Half Life exklusiv für VR – WTF?
Nach dieser sehr langen Abhandlung über den Softwaremangel in VR nun zum eigentlichen Thema: Der Trailer für Alyx ist erschienen und die Gaming-Szene rotiert. Kaum ein anderes Spiel hat so viel Aufmerksamkeit durch Fach- und Mainstreampresse bekommen. Wo selbst Top-Spiele wie Stormland und Asgard’s Wrath oft unerwähnt blieben: Half Life ist immer eine Meldung wert. Oder auch fünf, oder sechs, wie bei einzelnen Medien. Und dass Alyx nur in VR ihr Unwesen treiben wird, ist der für wirklich große mediale Aufmerksamkeit wichtige Streitpunkt.
Dabei stand Half Life schon immer dafür, bewährtes zu durchbrechen und auch neue Technologien einzuführen. Steam wurde erst durch die Zwangsehe mit Half Life 2 populär. Selbst hartnäckige Steam-Verachter legten für HL2 ihren Stolz beiseite und waren spätestens beim ersten Sale überzeugt. Half Life 3 hingegen hätte die nach 12 Jahren Pause sehr hohen Erwartungen nie erfüllen können. Als Flatgame wohl noch weniger – dort noch Innovationen einzuführen, die nicht jedem auf die Nerven gehen, ist schwer und unvorhersehbar.
One and a half Life allerdings, Half Life 1,5 wegen er zeitlichen Einordnung zwischen 1 und 2, muss keinen Cliffhanger sinnvoll weiterführen. Muss nicht die Erwartungen an ein HL3 erfüllen.
Der Trailer trendete zwischendurch auf #1 bei Youtube
Auf Millionen verzichten – für VR?
Ein Megaseller, ein no-brainer – mit diesem Spiel für Flat hätte Valve gutes Geld verdienen können. Stattdessen veröffentlichen sie es ausschließlich für VR, was die Einnahmen wohl recht massiv schmälert. Dass sich damit bei einer Entwicklungszeit von vier Jahren kein Geld verdienen lässt, dürfte auf der Hand liegen.
Aber Valve ist nicht dumm. Sie arbeiteten schon seit langen an VR-Hardware, haben HTC bei der Vive unterstützt und Lighthouse entwickelt. Die Index ist zwar teuer, aber dennoch das bislang beste VR-Gesamtpaket – auch wegen der Index Controller, die aber praktischerweise auch mit Pimax und Vive funktionieren. Nur die Verkäufe mögen noch nicht so recht zünden.
Software sells Hardware
Womit wir wieder am Anfang wären: Software verkauft Hardware. Die für AAA-Spiele übliche Entwicklungszeit von 4-5 Jahren haben wir jetzt überstanden. Tatsächlich lässt sich ein gewisser Qualitätssprung bei aktuellen VR-Titeln beobachten. Die Entwickler haben gelernt, die Hardware ist zudem schneller und günstiger geworden. Und nun Half Life.
Die wichtigste Marke für VR zu nutzen ist eine Wette auf die Zukunft. Und das Selbstbewusstsein, das sich Valve gönnen kann: Half Life zieht immer. Jetzt ist die Wette: Zieht Half Life genug, um einen ausreichenden Impact auf die Verkaufszahlen von VR-Hardware zu haben?
Es ist logisch: mehr verkaufte HMDs bedeutet größere Chancen für Entwickler, mit VR Geld zu verdienen. Und das ist eine der Grundvoraussetzungen für große und teure Produktionen. VR braucht daher Zugpferde – die gute Hardware haben wir inzwischen, Software fehlt – und Half Life ist eines der großen Zugpferde der Gaming-Szene.
Das ist zu beobachten. Es berichten Gamingmedien wie Golem, Computerbase, Gamestar und nicht mehr nur die auf VR spezialisierten. Und es berichten auch Medien abseits des Gamings wie Spiegel Online. Dazu kommt: Die News zum Thema werden geklickt und kommentiert, weit über dem Durchschnitt teilweise. Das zeigt den Redaktionen das große Interesse – was wieder mehr News zum Thema bedeutet, mehr Aufmerksamkeit.
Ihr wollt mehr Background-Infos zu Half Life: Alyx? Dann schaut dieses Video!
Mediale Aufmerksamkeit überall
VR kommt mit solchen Meldungen mehr und mehr in den Köpfen der Menschen an. Dass VR offenbar noch nicht gescheitert ist, beweist Valve, indem sie ihre wichtigste Marke exklusiv umwidmen. Dass Valve damit nicht nur Index-HMDs verkaufen will, beweist die Öffnung für alle HMDs. Preislich ist HL:A mit 49,99€ (bis Release sogar nur 44,99€ und für Besitzer und Käufer von Index oder Controllern ist es kostenlos) sehr günstig. Und dann ist da noch dieser Trailer.
Viel zeigt Valve im Trailer zu Half Life: Alyx nicht, ein paar Kampfszenen, tolle Details, Schleichen und hektisches Suchen nach Munition. Aber was sie zeigen ist liebevoll gemacht und zeigt VR-Veteranen einiges über die Spielmechaniken. Dinge beiseite schieben um einen besseren Blick zu bekommen. im vollgemüllten Regal hektisch nach Munition suchen. HL:A wird mit der Physik spielen (lassen) und es wirkt, als könnte das Medium VR gut genutzt werden.
Das fällt auch eingefleischten Flatgamern auf. Wer die Kommentare unter den jeweiligen News bei Gamestar, Computerbase & Co liest, dürfte sich erst einmal die Augen reiben: Der Hass auf VR ist recht gering ausgeprägt (natürlich gibt es entsprechende Kommentare weiterhin, aber die Menge hat stark abgenommen). Im Gegenteil: Erstaunlich viele Kommentatoren schreiben, dass sie jetzt wohl doch mal mit VR loslegen wollen. Das gab es zuvor bei keiner Spieleankündigung in dieser Konzentration.
Dazu kommt das gute Timing mit Oculus Link: Die eh schon praktische Einsteiger-VR Quest wird zur PC-VR mit der sich HL:A spielen lässt. Zum anstehenden Black Friday hoffen viele auf Rabatte für VR-Brillen, dass Oculus Rift S für 399 Euro kommen wird ist sogar schon bekannt.
Nun haben wir viele Meldungen rund um VR in den Newstickern, einen sogar für Flatgamer beeindruckenden Trailer von Half Life: Alyx und gesunkene Preise – gute Startbedingungen für VR, weiter durchzustarten. Publishern die Geldbörse für mutigere VR-Spiele zu entlocken – wenn Valve schon seine Kronjuwelen auf VR wettet. Und die Medien VR gerade aufmerksam beobachten…
Übrigens: Der Trailer zum Spiel hat mittlerweile über 6 Millionen Aufrufe, trendet bei Youtube und die Dislikes halten sich erstaunlich stark in Grenzen. Offenbar hat sich an der öffentlichen Meinung zu VR bereits etwas geändert: Vom No-Go zum „Hmm, mal nach Angeboten suchen“. Die Ablehnung wird spürbar weniger. Jetzt kommt die Software. Lest euch mal die Kommentare durch und vergleicht sie mit denen zu VR-News vor einem oder zwei Jahren.
–> Gamestar
–> Computerbase
Für Einsteiger: MRTV erklärt euch, welche VR-Brille ihr euch für HL:A kaufen solltet.
Wichtiges Puzzleteil für den VR-Erfolg: Ihr, die VR-Community
Wir möchten uns aber auch bedanken – wir, die VR-Legion, bei Euch, die ihr unermüdlich in den Foren kommentiert und für VR sprecht. Auch wenn es euch nicht so vorkommen mag: Die aktuell verhältnismäßig gute Stimmung für VR ist auch entstanden, weil die VR-Community nicht hasserfüllt alles niederbrüllt, sondern zu großen Teilen hilfreich kommentiert. Gerade jetzt, wo viele potentielle Neuzugänge Fragen haben, ist es halt ratsam, freundlich weiterzuhelfen statt „Kacknoob“ zu brüllen und genau diese Hilfsbereitschaft ist zu spüren. Gamestar hat über 600 Kommentare zu einer HL:A-News. Wenige davon waren komplett ablehnend und selbst da wurde wenig getrollt. Das ist beachtenswert. Es wäre spannend, die VR-Verkaufszahlen nach dem Black Friday zu wissen – wir könnten uns gut vorstellen, dass die Nutzerbasis noch bis Ende 2019 spürbar ansteigt.
Wir freuen uns aber natürlich auch über jeden neuen Leser und jedes neue Mitglied im Discord, nur so kann die Legion wachsen. Bleibt nett zu den Neuankömmlingen, wir haben schließlich selbst alle erst vor wenigen Jahren selbst mit VR angefangen und mussten viel lernen. Half Life wird viele User in die virtuelle Realität bringen und sicher nicht immer nur angenehme. Der Mainstream enthält eben auch seltsame Charaktere. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass es gemütlich bleibt in der VR Community. Dann darf VR mit Half Life auch gerne wirklich durchstarten. Die Chancen stehen gut.
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Was für ein toller Artikel. Da spricht
wahrlich das VR Gamer Herz und dazu noch mit Kompetenz.
Dieser Artikel gehört definitiv zu meinen Top 5 Artikeln der VR Legion.
Den müsste man direkt auf der Gamestar, Computerbase, pcgameshardware usw. veröffentlichen.
Richtig gut geschrieben.
Danke 🙂 . Aber das ist doch eher was für Nischenseiten wie die Legion. Fühl dich aber frei, ihn dort in den Kommentarspalten zu teilen 😉 .