Nreal Light im Test – Augmented Reality im handlichen Format

Neben VR ist auch AR auf dem Vormarsch – ein interessantes Stück Hardware ist die Nreal Light, die wir ausführlich testen konnten.

Während Virtual Reality die Umwelt komplett ausblendet und euch in eine komplett „eigene“, eine virtuelle, Realität wirft, ist der Ansatz bei Augmented Reality ein anderer. Hier werden computergenerierte Inhalte in die „reale Realität“ eingeblendet, sie wird quasi erweitert. Für den Massenmarkt ist dieses Konzept durchaus praktischer als die totale Abschottung – AR-Hardware wird mancherorts schon als legitimer Nachfolger der allgegenwärtigen Smartphones gesehen. Doch was ist dran, am AR-Hype? Wir haben von der Deutschen Telekom freundlicherweise ein Testmuster der dort vertriebenen AR-Brille  Nreal Light bekommen – zwar im Rahmen einer Kooperation aber im Gegenzug komplett ohne Einflussnahme der Telekom auf die veröffentlichten Inhalte. Dieser Test entspricht daher komplett unseren Testergebnissen und unserer Meinung – was für uns Voraussetzung für die Kooperation war.

AR-Voraussetzungen

Während Microsofts vielbeachtetes Holoelens-Projekt zu einer eher sperrigen aber dafür autark arbeitenden AR-Brille geführt hat, geht Nreal einen etwas anderen Weg. Der recht klobige AR-Helm einer Hololens weicht hier einer fast schon sportlich wirkenden Sonnenbrille, der man ihren Technikeinsatz nur an wenigen Stellen ansieht. Zugegeben, ganz so schmal wie rein analoge Brillen ist die Nreal Light nicht, man erkennt auf den zweiten Blick durchaus die Displaytechnik und das Kabel, mit dem sie mit dem Smartphone verbunden wirkt, ist auch auf den ersten Blick unübersehbar. Eben dieses Kabel sorgt aber dafür, dass in der Nreal Light selbst nur recht wenig Elektronik verbaut sein muss. Rechenleistung und Strom liefert ja das Smartphone.

Hier gibt es dann auch die erste Einschränkung: Aktuell arbeitet die Nreal Light zumindest in Europa nur mit dem Oppo Find X3 Pro zusammen. Das Luxus-Handy ist zu Preisen ab 1.150 Euro erhältlich (beispielsweise bei Amazon) und damit alles andere als ein Schnäppchen – während die Nreal Light selbst bei der Telekom für 799 Euro angeboten wird, ist es sogar die teuerste Komponente um so in die AR-Welt einzusteigen. Im Gegenzug liefert Oppo dank des topaktuellen Snapdragon 888, 12 Gigabyte RAM und 256 GB Flash aber auch eine beeindruckende Leistung – wir sind vom uns für den Test ebenfalls zur Verfügung gestellten Telefon jedenfalls sehr begeistert und nutzen auch die sehr gute Kameralösung mit viel Begeisterung.

Die Nreal-Brille lässt sich im „MR“-Modus als vollwertige AR-Brille nutzen, Alternativ geht auch ein Mirrormodus mit Smartphone-Inhalt auf virtueller Leinwand.

An das Smartphone wird die Nreal Light via USB-C angeschlossen, das Kabel hat eine angemessene Länge und ist tatsächlich nicht zu kurz und nicht zu lang für den Alltagseinsatz. Ist die Verbindung hergestellt, wird die für den Betrieb nötige Software namens Nebula gestartet. Diese lässt sich aktuell tatsächlich nur auf dem Oppo-Topmodell installieren, der Versuch sich mit anderen Smartphones zum Laufen zu bekommen schlägt fehl. In Asia ist allerdings auch das Samsung Galaxy S21 kompatibel – zumindest die dort verfügbare Snapdragon-Variante. Unter Umständen ist der hierzulande bei diesem Telefon eingesetzte Exynos-SoC auch einer der Gründe dafür, dass das Samsung-Telefon inkompatibel ist. Ein weiterer dürfte wohl eine bezahlte Überzeugungshilfe von Oppo sein, die ihre Smartphones in den Markt drücken wollen.

Trotz des geringen Formfaktors hat Nreal einiges an Technik in die Brille gequetscht:

Technische Daten der Nreal Light AR-Brille

  • Display: 2x 1.920×1.080 Pixel
  • Field of View: 52 Grad
  • Audio: Stereo Lautsprecher und Mikro
  • Gewicht: 143 Gramm (ohne Kabel: 106 Gramm)
  • Anschluss: USB-C
  • Tracking: 6DoF Brille, 3DoF Pointer
  • Laufzeit: 2-3 Stunden (Smartphone, MR-Modus)
  • Voraussetzungen: Oppo Find X3 Pro Smartphone

Bildqualität: Besser als Hololens

Beim Ausprobieren der deutlich teureren Hololens 2 von Microsoft fiel mir auf, dass die AR-Bilder oft eher wie Hologramme aus Star Wars wirkten – etwas verwaschen. Bei der Nreal Light schaut es besser aus: Die Bilder im Overlay sind scharf, hell und vor allem auch farblich sehr knackig. Damit bei Facebook lesen oder ein Youtube-Video schauen funktioniert tatsächlich und bringt auch Spaß. Je heller die Umgebung allerdings ist, desto schwerer tut sich die Nreal – für den Einsatz im Freien eignet sie sich daher bestenfalls bei stark bewölktem Himmel, ansonsten ist es eine Indoor-Brille.

Die Projektion des AR-Bildes ins Sichtfeld funktioniert sehr gut, allerdings ist auch hier, wie bei AR aktuell leider typisch, das Sichtfeld sehr klein. Zieht ihr ein Fenster zu groß auf, wird es abgeschnitten – das Field of View beträgt nur 52 Grad. Das reicht aber trotzdem um Fenster größer zu betrachten als auf dem Monitor. Nur wenn ihr mehrere Fenster öffnet müsst ihr euch öfter mit dem Kopf umschauen als gewohnt.

Zwei Displays im oberen Teil der Brille erzeugen das Bild, das dann auf die Gläser gespiegelt wird.

Zudem liegt der Packung ein Aufsatz bei, mit dem die Brille komplett verdunkelt werden kann. Nreal spricht hier vom VR-Modus, da die Realität ausgeblendet wird. Um eine richtige VR-Brille handelt es sich aber damit natürlich trotzdem nicht. Schon auch, weil die Trackingkameras der Nreal damit ebenfalls abgedeckt werden. Es handelt sich damit eher um eine klassische Videobrille mit Kopftracking.

Software und Bedienung

Nreal bietet zwei Funktionsweisen: Der AR-Modus, in dem ihr ausgewählte Apps um euch herum anordnen und Fenster größer oder kleiner ziehen könnt und den Mirror Modus, bei dem das Handydisplay gespiegelt wird. Die Größe es Mirrors lässt sich nicht anpassen und die Bedienung erfolgt über den Touchscreen des Telefons. Sonderlich sinnvoll ist dieser Modus eher nicht, da man für Eingaben eh unter der Brille auf das Handydisplay schaut. Außerdem ist der Mirror nicht viel größer als das vors Auge gehaltene Smartphone, allerdings mit schwächerer Bildqualität.

Der MR-Modus, Mixed Reality-Modus, wird nicht wie bei Hololens mit Fingerbewegungen gesteuert sondern mit dem Smartphone als Laserpointer. Das funktioniert nur mit drei Freiheitsgraden, während die Brille selbst sich mit sechs Freiheitsgraden tracken kann. Ärgerlich: der Laserpointer driftet recht schnell aus seiner ursprünglichen Position und muss dann mit einem Kmopfdruck rekalibriert werden. Innerhalb der für den Betrieb nötigen Nebula-Software ist das noch durchgängig gelöst, Apps von Fremdentwicklern halten sich aber nicht unbedingt an diese Vorgabe, so dass ihr euch beim Rücksetzknopf öfter umgewöhnen müsst.

Da das Oppo Find X3 Pro recht schwer ist, ermüdet diese Bedienung die Hand recht schnell, so dass wir uns einen alternativen und leichteren Pointer für die Eingabe wünschen würden.

Für den Betrieb der Nreal Light hat uns die Telekom freundlicherweise ein Oppo Find X3 Pro überlassen.

Nebula selbst ist recht übersichtlich gehalten: Ihr könnt installierte AR-Apps in den auf Knopfdruck aufrufbaren Launcher legen und dort aufrufen. Fenster wie Browser, Youtube oder Chat lassen sich neben- oder übereinander anordnen und in der Größe flexibel verstellen. Auch die Entfernung vom Auge lässt sich anpassen. Allerdings gibt es keinen Modus, mit dem ein solches Fenster uns beim Herumwandern verfolgen würde. Eingeschränkt ist das zwar möglich, allerdings behalten die Fenster ihre Position im Raum, auch wenn sie vor uns „kleben“. Bedeutet: Geht ihr um eine Kurve (oder wollt die Nreal Light beispielsweise im Zug, Flugzeug oder als Beifahrer im Auto nutzen), verschwinden die Fenster ebenfalls und ihr müsst euch erst wieder in die richtige Richtung drehen. Damit fällt die Nutzung beim Gehen oder Fahren aktuell eigentlich komplett raus, was die Nreal Light zu einer AR-Brille macht, die man bevorzugt stationär nutzt. Verschenktes Potential würden wir sagen – allerdings ließe sich hier mit einem Softwareupdate nachhelfen.

Da AR aber mehr ist als nur flache Fenster im echten Sichtfeld einzublenden, haben wir natürlich auch einige dedizierte AR-Apps ausprobiert. Allzu viel Auswahl gibt es da leider noch nicht und einiges ist bestenfalls als Machbarkeitsstudie denn als vollständige Anwendung zu sehen – auch wenns Geld kostet. Mit am weitesten entwickelt ist da das Spiel Nreal Tower, für das vor dem Start ein manuell auszudruckender Marker (ein A4-Blatt mit einer Grafik) von der Brille gescannt werden muss. Dort erscheint dann das Spielfeld, wo wir uns mit anderen Nreal-Besitzern spielerisch messen können. Schön: Wir können um das Spielfeld herumgehen und sehen es immer in der gewünschten Position. Allerdings dabei FoV-bedingt oft an den Rändern abgeschnitten. Gesteuert wird auch hier mit dem Laserpointer bzw. dem Handy – was nach einiger Zeit, wie bereits erwähnt, zu leichten Ermüdungserscheinungen der Hand sorgt.

Enttäuscht waren wir von der Koch-App von Vodafone: Giga AR ist nicht viel mehr als eine Sammlung Youtube-Videos die fest im Sichtfeld eingeblendet werden – immerhin mit zusätzlicher Rezepteinblendung und einem gelegentlich als Avatar auftauchenden Fernsehkoch. Einen wirklichen Mehrwert zu einer Alexa oder dem Smartphone in der Küche bietet Giga AR nicht.

Die für den Betrieb nötige Nebula-Software bietet einen Launcher für Apps.

Mit wachsender Softwarebasis ließen sich sicherlich noch interessantere Anwendungen entwickeln, kauft ihr die Nreal Light aber zum aktuellen Zeitpunkt, müsst ihr euch im Klaren darüber sein, dass ihr Early Adopter seid und daher nur eine sehr begrenzte Softwareauswahl vorfindet. Am ausgereiftesten ist daher tatsächlich die Nebula-Oberfläche und die Nutzung der Nreal Light als Quelle für zusätzliche flache Bildschirme.

Tracking – braucht gute Lichtverhältnisse

Die Umgebung erfasst die Nreal Light mittels ihrer integrierten Kameras, zusätzlich gibt es einen Gyro- und einen Beschleunigungssensor. Für ein brauchbares Tracking muss allerdings das Licht stimmen – in dunklen Räumen findet die Brille nicht genug Fixpunkte um sich zu orientieren, wenn es zu hell wird gilt das Gleiche. Schaut ihr auf große, einfarbige Flächen, kann es mangels Fixpunkten ebenfalls zu Trackingaussetzern kommen. Das war vor allem hier im Legions-Büro problematisch, da sich eine große Dachschräge eigentlich als leere Fläche zur Projektion von Film- oder Browserfenstern angeboten hätte – ausgerechnet diese Schräge sorgte aber immer wieder für Aussetzer im Tracking.

Trackingaussetzer klingt harmlos, tatsächlich zuckt dabei primär das Bild hin- und her. Während das bei VR schnell für Übelkeit sorgen kann, ist es bei AR weniger schlimm. Ärgerlicher ist da schon, dass bei länger anhaltenden Trackingaussetzern die Nebula-Software bei uns nachvollziehbar abstürzte. Und das war zu den meist nächtlichen Testzeiten hier sehr oft der Fall. Aus- und Einstecken der Nreal-Brille startete dann zwar die AR-Umgebung neu, änderte aber natürlich nichts an den weiter bestehenden Aussetzern und Abstürzen. Auch in einem von Sonne durchfluteten Wohnzimmer gabe es diese Probleme – bei Sonne im Freien ebenso, was den Außeneinsatz eher unangenehm gestaltete.

Das Tracking mit den in der Brille montierten Kameras hat sich bei uns leider als sehr zickig erwiesen.

Komfort – auch für Brillenträger?

Bei der ersten Einrichtung fordert die Software euch auf, einen zu eurer Gesichtsform passenden Nasenbügel zu wählen und in die Brille zu stecken – es liegen vier solcher Aufsätze bei, eine Anzeige hilft euch bei der korrekten Wahl. Und die ist wichtig – mit dem falschen Aufsatz liegt die Nreal Light nicht gut auf der Nase und ihr seht entweder unscharf oder zu viel der schwarzen Umrandung, in der die Displays sitzen.

Brillenträger können zudem eine hinten magnetisch mit der Brille befestigte Halterung für Korrekturlinsen nutzen. Ansonsten ist die AR-Brille eher unhandlich über der normalen Brille zu tragen.

Allzu lange lässt sich die Nreal aber aufgrund ihres Gewichtes nicht bequem tragen. Da ist es fast schon praktisch, dass der Akku des Smartphones im MR-Modus nach etwas über zwei Stunden wieder geladen werden will – ohne angeschlossene AR-Brille hält das Oppo Find X3 Pro allerdings bequem 1-2 Tage durch. Eine Möglichkeit, das Telefon mit angeschlossener AR zu laden gibt es leider nicht. Ok, doch, auf unpraktischen Umwegen, indem ihr das Handy in eine kabellose Ladestation steckt, was aufgrund des eingesteckten Kabels aber eher ungünstig ist. Außerdem erwärmt sich das Smartphone mit AR-Brille sehr stark – so stark, dass an warmen Tagen kein AR-Betrieb mit angebrachter Schutzhülle möglich ist.

In den Seitenbügeln sind (recht schwache) Lautsprecher eingebaut.

Fazit – bislang nur eingeschränkt nutzbar

Der Katze sagt AR jetzt nicht unbedingt zu – vielleicht auch mangels Passform.

Um es ganz kurz zu machen: Wenn ihr euch die Nreal Light kaufen wollt, versprecht euch nicht zu viel davon. Die Bildqualität ist zwar wirklich gut und kann an bewölkten Tagen sogar im Außeneinsatz überzeugen, um die Nreal Light aber nicht nur als Videobrille zu nutzen, gibt es noch zu wenig Einsatzmöglichkeiten. Die großen AR-Versprechungen – ein Produkt anschauen und Informationen darüber erhalten beispielsweise oder einfach nur in der Koch-App kontextsensitive Zubereitungshinweise zu bekommen, das leistet die Brille nicht. Das bei ungünstigen Lichtverhältnissen eher bockige Tracking und die fehlende „Ein Fenster immer direkt vor mir im Sichtfeld einblenden“-Funktion verhindern einen Einsatz abseits vom Bürostuhl.

Was gut geht ist der Umgang mit flachen Fenstern, die sich bequem im Raum um euch herum platzlieren lassen. Dank des guten Bildes lassen sich so auch Texte lesen – einen Monitor ersetzt die Nreal Light aber dennoch nicht. Dafür ist beim Lesen dann doch zu viel Konzentration nötig. Filme schauen klappt allerdings super. Nur stellen wir uns die Frage: Warum 799 Euro + über 1000 Euro für das einzige aktuell kompatible Smartphone investieren, nur um Videos zu schauen? Sicher, es ist cool, die Brille sieht nicht schlecht aus und man schnuppert ein wenig Zukunftsluft – aber vollständig ausgereift wirkt das alles noch nicht.

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